Friday, May 23, 2014

„Der sprachliche Provinzialismus gefährdet das Denken“

(Language Provincialism Endangers the Though Process)Frankfurter Allgemeine Zeitung  (FAZ)

Meeting oder Sitzung? Low Performer oder Versager? Was hat es eigentlich für Auswirkungen, wenn auf deutschen Bürofluren nur noch das Englische dominiert? 
Ein Interview mit den Sprachwissenschaftler Jürgen Trabant.
© ANDREAS PEIN / F.A.Z.VergrößernJürgen Trabant, 71, war Professor für Romanische Philologie in Berlin. Zuletzt erschien von ihm „Globalesisch oder was? Ein Plädoyer für Europas Sprachen“.
Herr Trabant, was unterscheidet ein Meeting von einer Sitzung?
An der Sitzung nehmen der Herr Professor und die Frau Direktorin teil. Beim Meeting sitzen John, Peter und Wolfgang am Tisch. Hierarchien gibt es trotzdem. Da täuschen sich viele, die nach Amerika gehen. Sie denken, das ist mein Freund John. Dabei ist er natürlich der Boss, und jeder weiß das. Darin liegt eine Gefahr.
Ist der Low Performer etwas anderes als der Versager?
Er ist jedenfalls etwas anderes als der Pechvogel, der sagt: Mir war auf dieser Welt das Glück nicht hold, ich wandre in die Berge - wie es in Gustav Mahlers Lied von der Erde heißt. Das ist die europäische Sicht. Der Amerikaner bezieht die Schuld auf sich selbst.
Darf sich ein Finanzkonzern noch Deutsche Bank nennen, wenn der Vorstandschef nur Englisch spricht?
Das müssen die Aktionäre beurteilen, ob sie auf der Hauptversammlung Auskünfte in der Landessprache verlangen. Ich selbst fand es jedenfalls befremdlich.
Ist eine Firma, die Englisch als Umgangssprache einführt, noch dieselbe wie vorher?
Natürlich ändern sich damit das ganze Denken und das ganze Verhalten. Solange es um normierte Abläufe geht, ist das nicht gravierend. Aber zumindest die Führungskräfte übernehmen mit der Sprache auch einen ganzen Lebensstil. Sie schicken ihre Kinder auf eine englischsprachige Kita, Schule, Universität. Da muss sich eine Gesellschaft die Frage stellen, ob sie ihre ökonomischen Eliten einfach auswandern lässt. Es ist schon ein Problem, wenn sich eine ganze Gruppe von Menschen in eine andere sprachliche und kulturelle Welt flüchtet - wie die Aristokratie des 18. Jahrhunderts ins Französische.
Eben: Im Mittelalter kommunizierten die europäischen Eliten auf Latein, im 18. Jahrhundert auf Französisch, heute halt auf Englisch. Wo ist das Problem?
Damals gab es noch keine Demokratie, und es gab riesige Klassenunterschiede. Mit dem Bürgertum ist das Deutsche dann aufgestiegen. Und die Landessprache begünstigte das Entstehen von Demokratie, so war es in den meisten europäischen Ländern. Für eine Gesellschaft ist es gut, wenn sie sich in einer gemeinsamen Sprache verständigen kann. Was nicht bedeutet, dass die Eliten nicht mehrsprachig sein sollen. In Deutschland waren sie es immer. Und es ist auch gut, wenn viele Menschen mehrsprachig sind.
Wie kann eine vielsprachige Demokratie in Europa funktionieren?
Ich habe nichts dagegen, dass die Parlamentarier und die Eurokraten in Brüssel untereinander Englisch sprechen. Hauptsache, die Verwaltung funktioniert. Aber mit den einzelnen Ländern muss das Zentrum in der Landessprache kommunizieren. Wenn ich als lettischer Bürger einen Brief nach Brüssel schreibe, habe ich den Anspruch auf eine lettischsprachige Antwort. Das läuft im Moment nicht so gut, wie es laufen sollte.
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Muss die gemeinsame Sprache das Englische sein?
Mir als Romanisten wäre natürlich das Französische lieber gewesen. Ich war damals auf der Seite von Charles de Gaulle, der sich auch deswegen gegen die Aufnahme Großbritanniens gestemmt hat. Er hat genau gesehen: Wenn England nicht dabei wäre, hätten wir heute Französisch als Sprache Europas.
Und das Deutsche?
Es war vielleicht ganz weise, nicht auf unserer Sprache zu bestehen. Nach dem Krieg gab es so etwas wie eine deutsche Sprach-Scham. Wir wollten im Ausland nicht die Sprache benutzen, in der kurz zuvor so schrecklich gebrüllt wurde. Auch heute ist die Zurückhaltung ein Gebot der politischen Klugheit, wir sind nun mal das große Land in der Mitte Europas. Im eigenen Land könnten wir die Schönheit unserer Sprache allerdings mehr betonen.
Das passiert doch, wenigstens zum Teil: Die Bahn sagt wieder „WC“ statt „McClean“. Die Parfümerie Douglas hat ihren Slogan „Come in and find out“ eingestampft, weil ihn niemand verstand.
Ist das so? An jeder Boutique steht „Closed“, und der Schlussverkauf heißt „Sale“. Manche Exzesse wurden zurückgenommen, das stimmt. Die Telekom verschickt ihre Rechnungen wieder auf Deutsch. Eine Zeitlang stand dort „City Call“ statt Ortsgespräch, und kein Mensch wusste, was er da überhaupt bezahlt. Stellen Sie sich mal vor, in Amerika würden Telefonrechnungen auf Deutsch oder Russisch verschickt!
Das Englische ist doch ungemein praktisch: Anders als noch vor zwanzig Jahren komme ich damit überall in Europa durch.
Wenn ich mich damit nur verständlich machen will, ist das ja völlig in Ordnung. Um in Helsinki eine Pizza zu bestellen, muss ich nicht Finnisch lernen. Aber das bleibt eindimensional: Mit meinem praktischen Englisch will ich vor allem meinen Wunsch kommunizieren, ich will gar nicht wissen, was du mir sagst. Das führt dazu, dass man immer nur sich selbst ausdrückt, statt sich in den anderen hineinzuhören. Wenn ich mich mit Finnen oder Griechen wirklich befreunden möchte, sollte ich besser deren Sprache lernen.   Ich bin sicher: Viele der Probleme mit Griechenland wären gar nicht erst aufgetreten, wenn mehr Leute in Berlin und Brüssel Griechisch könnten.
Viele Amerikaner fordern auch in Europa ganz selbstverständlich ein, dass man Englisch mit ihnen spricht.
Fremdsprachen sind an den öffentlichen Schulen in Amerika und England so gut wie abgeschafft. Sie haben mit ihrer Sprache gesiegt und glauben, sie kommen damit durch. Dieser sprachliche Provinzialismus gefährdet das Denken. Als die Amerikaner aus dem Irak abzogen, sagte Präsident George W. Bush: Dann schicken wir die Übersetzer nach Afghanistan. Er wusste offensichtlich nicht, dass in Afghanistan kein Arabisch gesprochen wird! So etwas hat natürlich politische Folgen. Für die Vorherrschaft der Amerikaner in der Welt wäre es besser, wenn sie den Umgang mit dem anderen lernten.
Auch in Amerika haben sich die intellektuellen Eliten über Bush lustig gemacht.
Was die Sprache betrifft, sind sie aber keinen Deut besser. Die letzten fünf Jahre habe ich an einer englischsprachigen Hochschule in Deutschland unterrichtet. Da merkte ich: Alles, was ich in meinem Forscherleben getan habe, kommt in der abgeschlossenen Anglo-Welt nicht vor. Aus anderen Sprachen wird nichts wahrgenommen und nur wenig ins Englische übersetzt, und wenn, dann müssen es die anderen selbst bezahlen. Ganze Bibliotheken von Wissen verschwinden auf Nimmerwiedersehen in der exklusiven Anglophonie.
Ein Wettbewerbsvorteil ist das Englische für die Amerikaner schon - die ganzen Internetfirmen säßen kaum in Amerika, wenn Englisch nicht die Weltsprache wäre?
Klar, die Vorherrschaft des Englischen ist ein unglaublicher Wirtschaftsfaktor. In England gehen, glaube ich, bis zu 20 Prozent der Wirtschaftsleistung auf den Englischunterricht für Ausländer zurück. Der belgische Sozialphilosoph Philipp Van Parijs hat ausgerechnet, dass die nichtanglophone Menschheit jedes Jahr 300 Milliarden Euro allein fürs Englischlernen ausgibt. Es wäre doch schön, wenn die Briten dafür ein bisschen Geld aufs Festland überweisen könnten - als eine Art Finanzausgleich. 
Wenn es stimmt, dass man sich durchs Sprachenlernen besser in andere Kulturen hineinversetzen kann: Dann wäre das doch für die Amerikaner ein großes Handicap?
So ist es ja auch. Der deutsche Exporterfolg hat auch damit zu tun, dass wir uns ganz gut auf die anderen einstellen können. Der schwäbische Mittelständler schickt nach Polen eben einen Mitarbeiter, der auch Polnisch spricht oder sich zumindest darum bemüht. Die Amerikaner wissen oft gar nicht, was es heißt, in anderen Sprachen zu kommunizieren. Sie nehmen keine Rücksicht und reden drauflos, als seien sie in Tennessee. Unter meinen Studenten waren sie die Einzigen, die man nicht verstehen konnte.
Dann müssen wir uns um die Zukunft des Deutschen keine Sorgen machen?
Aussterben wird es nicht. Aber die Gefahr ist, dass es zu einer zweitrangigen Sprache für den Hausgebrauch herabsinkt. Hinter dieser Befürchtung steht die französische Erfahrung. Bis zur Revolution war Frankreich ein vielsprachiges Land. Die Revolution hat dann die französische Sprache durchgesetzt, das Bretonische und das Okzitanische sind ins Haus zurückgewandert. So könnte es den europäischen Sprachen ergehen, wenn sich das Englische in der offiziellen Sphäre weiter durchsetzt.
Gibt es positive Vorbilder?   (Are there positive examples / models?) 
Das alte Österreich hat eine sehr kluge Sprachpolitik gemacht. Die habsburgischen Beamten mussten mindestens drei Sprachen können. Wer nach Ruthenien versetzt wurde, der musste eben Ruthenisch lernen. Heute rate ich  (I advise) : Jeder Europäer sollte neben seiner Muttersprache und dem Englischen mindestens noch eine dritte Sprache lernen ( -- after your own mother tongue and English, learn to speak at least a third language).
Wonach soll ich mich dabei richten?
Nach der Stimme des Herzens. Nicht nach ökonomischen Kriterien, dafür gibt es ja schon das Englische. In der Schule habe ich mich schrecklich gequält, ob ich als dritte Sprache Französisch oder Russisch lernen soll. Dann sagte ein Lehrer: Nach Russland kommst du schlecht hin, Frankreich liegt uns näher. Als ich dann zum ersten Mal Französisch hörte, dachte ich: Das ist die Sprache, die in meinem Herzen schon immer geklungen hat.
Das Gespräch führte Ralph Bollmann.

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